I’m a Scientist, Get me out of here!
Ein Beitrag von Stefanie Remmele
I’m a Scientist ist ein Onlineangebot, das den Austausch zwischen Schüler*innen und Wissenschaftler*innen fördert. Mehrmals jährlich für jeweils ein bis zwei Wochen bringt das Projekt Schüler*innen, ihre Lehrkräfte und Wissenschaftler*innen zu einem bestimmten Thema rund um Künstliche Intelligenz zusammen. Anfang Dezember stand eine Woche unter dem Thema „KI und Medizin“. Stefanie Remmele, Professorin an der Hochschule in Landshut, leitete in den vergangenen Jahren mehrere Forschungsprojekte mit Bezug zu maschinell lernenden Algorithmen für die Medizin und durfte bei I’m a Scientist dabei sein. Ein Erfahrungsbericht.
Seit 2003 arbeite ich als Wissenschaftlerin in der Medizintechnik. Erst in der Forschungsabteilung eines großen Medizintechnik-Unternehmens, heute als Mitglied und Sprecherin des Forschungsschwerpunkts Medizintechnik der Hochschule Landshut. Mein Schwerpunkt ist medizinische Bildgebung und Bildverarbeitung. Seit ca. 7 Jahren hat das für mich auch viel mit KI zu tun.
Mein Arbeitsalltag variiert täglich eine jeweils andere Mischung aus Vorlesungen und deren Vor- und Nachbereitung, Projekte planen, Korrekturen, Recherchen, E-Mails, Webkonferenzen, Kaffeepausen, mit der Labor-Crew Forschungsergebnisse planen, erheben, diskutieren, feiern, anzweifeln, bedauern und über-den-Haufen-werfen, telefonieren, Simulationen und Übungen basteln (auch zu KI), PowerPoint-Only-Engineering, Schreiben, To-do-Listen und Kalender pflegen, nervige Formulare ausfüllen, Vorträge halten, Labor in Ordnung bringen, Projektpartner*innen besuchen u. v. a. m.
Und das soll für Schüler*innen interessant sein?
Wie wird man Expert*in bei I’m a Scientist? Die Bewerbung.
Offenbar schon. Denn als ich mich für I’m a Scientist bewerbe, werde ich trotz (oder aufgrund?) dieser Beschreibung meines Arbeitsalltags für die Teilnahme angenommen. Im Rahmen der Bewerbung gebe ich Auskunft über:
- Meinen Forschungsschwerpunkt, meinen Arbeitsalltag, meine Qualifikationen und allgemein meinen Lebenslauf.
- Aber auch über überraschende, persönliche Dinge, die ich in Form eines Interviews in meinem persönlichen Profil auf der Website beantworte. Wie lange ist es her, dass ich gefragt worden bin, wer mein Lieblingssänger ist oder was mein Lieblingsessen?
- Auch Bilder kann ich in meinem Profil hochladen, die meine Arbeit veranschaulichen. Meine Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Augmented Reality für die Chirurgie und KI-unterstützter Bildverarbeitung. Das kann man zum Glück gut durch Bilder erläutern.
- Und ich lege fest, wofür ich das Preisgeld von 500 € einsetzen würde, sollten mich die Schüler*innen zu ihrer Lieblingswissenschaftlerin wählen. Ein neues Escape-Lab-Spiel zu unseren Forschungsthemen – das wäre toll. Wir haben schon eines zum Studiengang Biomedizinische Technik, das sehr gut ankommt. Aber so könnten wir bei Studieninteressierten auch besser auf unsere Forschungsthemen aufmerksam machen.
Die Chats
Im Zentrum der Themenrunde stehen die Live-Chats. Lehrkräfte können ihre Schulkassen ab der Klassenstufe 5 anmelden und anschließend einen Chattermin buchen. Die Live-Chats mit den Wissenschaftler*innen sind 30 Minuten lang. Dieses Mal haben Schüler*innen von insgesamt 20 Schulen im In- und Ausland an 21 Live-Chats teilgenommen. Von den 21 Wissenschaftler*innen, die an der Themenrunde teilnehmen, treffe ich immer ungefähr eine Handvoll in jedem Chat.
Wir bekommen eine Liste aller gebuchten Chats mit Beschreibungen der Schulen und können wählen, an welchen wir teilnehmen wollen oder auch nicht.
Montagnachmittag, 13 Uhr, mein erster Chat: Ich trete über den Link in meiner Buchungsliste bei. Technisch läuft alles einwandfrei, auch weil es möglich war, den Chatraum im Vorfeld zu testen. Ich treffe eine Schule aus einem privaten Gymnasium in Baden-Württemberg. Mit dabei sind auch andere Wissenschaftler*innen und eine Moderatorin.
Die Moderatorin eröffnet den Chat mit einer Begrüßung und ein paar technischen Hinweisen. Wir sollen zunächst kurz unsere Arbeit beschreiben, um das Eis zu brechen. Das hilft, langsam kommen die ersten Fragen. Es ist möglich, direkt auf eine Frage zu antworten (@-Tags). Auch kann ich mir nur die Fragen anzeigen zu lassen, die wiederum direkt an mich gerichtet sind. Der Grund wird bald klar. Nachdem die ersten Fragen von uns beantwortet wurden, bricht eine ganze Flut an Fragen über den Chat herein. Die @-Tags helfen, die Übersicht zu bewahren, meistens jedenfalls.
Die Fragen sind bunt gemischt. Manche kommen ganz spontan, manche scheinen vorbereitet zu sein, vielleicht durch die Lehrkräfte im Unterricht. Aus meiner Erinnerung sind das die häufigsten Denkrichtungen:
- Wird KI bald selbstständig Menschen behandeln können?
- Wie behalten wir die Kontrolle?
- Wo kann KI besonders helfen?
Und es sind auch in jedem Chat persönliche Fragen dabei:
- Wann wusstest du, was du werden wolltest?
- Ist dir manchmal langweilig?
- Wie viel verdienst du?
Manchmal entstehen kleine Dialoge, es hilft und macht Spaß, Fragen zurückzustellen. Unglaublich, wie schnell 30 Minuten vergehen können!
Noch mehr Fragen
Natürlich sind Fragen übriggeblieben. Kein Problem. Die Schüler haben die Möglichkeit weitere Fragen auch über die Website zu stellen, wo wir sie mit mehr Ruhe beantworten können, was alle I’m a Scientist–Forschenden auch fleißig tun. 26 solcher Fragen sammeln sich bei der Themenrunde KI und Medizin über einen Zeitraum von zwei Wochen an.
Viele Fragen sind recht philosophischer Natur und regen ganz schön zum Nachdenken an. Zum Beispiel
- Kann die KI in Zukunft Krankheiten heilen?
- Wird künstliche Intelligenz eventuell die Kompetenzen des menschlichen Wesens erfüllen können?
- Inwiefern beeinflusst KI die Gesellschaft und welche Auswirkungen hat dies auf die Entwicklung von Identität und sozialen Normen?
- Solle man KI in der Medizin grundsätzlich einsetzen und auch akzeptieren?
- Wie stellen Sie sicher, dass die Daten der Patienten geschützt und gleichzeitig für Forschung und Innovation genutzt werden können?
- Wo sehen Sie die medizinische KI in 10 oder 20 Jahren?
- Wie vermeiden wir, dass KI-Systeme Ungleichheiten im Zugang zu medizinischer Versorgung verschärfen?
- Warum ist das Anwenden von KI im Bereich Medizin fragwürdig?
- Wie lässt sich der Schutz individueller Daten mit dem Bedarf an großen, diversifizierten Datensätzen für das Training von KI?
Nur mit Text antworten ist schwieriger, als ich dachte. Hier und da versuche ich durch Links auf Beispiele und Bilder meine Erläuterungen zu veranschaulichen. Außerhalb der Chats ist mehr Zeit für kurze Recherchen nach Links auf Videos und Bilder.
Unsere Forschungsgruppe besteht aus Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen wie der Elektrotechnik, Informatik, Fertigungsverfahren, Human Factors und Medizin. Auch das hilft, um sich auf die ein oder andere Frage noch einmal Inspiration zu holen, was wiederum zu angeregten Diskussionen mit den Kolleg*innen und unseren PhDs führt – ein schöner Nebeneffekt.
Wer steht hinter dem Projekt?
I‘m a Scientist wurde von Gallomanor Communications entwickelt und findet seit 2010 jährlich mit großem Erfolg in Großbritannien statt. In den letzten Jahren entstanden weltweit zahlreiche Adaptionen der Plattform. Wissenschaft im Dialog realisiert I’m a Scientist seit 2020 für deutschsprachige Schulen im In- und Ausland. Seitdem fanden bereits 24 Themenrunde mit den unterschiedlichsten thematischen Ausrichtungen statt, an denen insgesamt rund 500 Forschende mitgewirkt und 8650 Schüler*innen teilgenommen haben. Seit 2022 findet das Projekt in Kooperation mit dem RHET AI Center statt und wird von der VolkswagenStiftung gefördert.
Fazit
I’m a Scientist hat richtig Spaß gemacht und nicht nur das. Es hat auf jeden Fall meinen Horizont erweitert. Ich habe mich mit neuen spannenden Fragen beschäftigt und inspirierende Antworten gefunden, auch durch die sympathischen Kolleg*innen und die eigenen Recherchen. Meine Lieblingsfrage? „Können wir von den Lernvorgängen der KI lernen und diese für den Menschen benutzen, damit wir so lernen können wir die KI?“ Nun, ich denke schon. Denn hinter jeder KI stecken Menschen und von Menschen können wir schließlich immer lernen. Und das gilt bei I’m a Scientist irgendwie für beide Richtungen. Und Glückwunsch an Jonas Schulte-Schrepping vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), dem Preisträger der Runde. Das Forschungs-Escape-Lab werden wir aber trotzdem basteln. Bei so viel Begeisterung für die Wissenschaft…