Wissenstransfer auf Augenhöhe: Warum Unternehmen und Hochschulen bei KI zusammenarbeiten sollen
Von Dr. Carl-Helmut Coulon, INVITE GmbH / Plattform Lernende Systeme
Die Geschichte des einst revolutionären MP3-Formats ist bekannt: In Deutschland erforscht und entwickelt, waren es damals US-amerikanische Unternehmen, die das Verfahren zur Kompression von Musikdaten vermarkteten. Heute besteht ist es der Bereich Künstliche Intelligenz (KI), in dem Nachholbedarf bei der Entwicklung marktfähiger Anwendungen besteht. Die KI-Forschung ist in Deutschland gut aufgestellt. Aber zu selten entstehen aus dem Wissen neue Produkte oder Dienstleistungen. Woran es hapert, ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Die starke weltweite Nachfrage nach KI-Expertise und kurze Innovationszyklen in der KI-Forschung erfordern einen kontinuierlichen Austausch zwischen Unternehmen und Hochschulen. Das Wissen, das in der Forschung und in den Betrieben gewonnen wird, muss zwischen Wissenschaft und Wirtschaft frei zirkulieren, damit es zügig in neue Geschäftsmodelle und Produkte fließen kann.
Dabei geht es nicht nur darum, dass Unternehmen von Forschungsergebnissen und potenziellen KI-Lösungen profitieren. Genauso sollen die spannenden Themen aus den Betrieben in die Universitäten gelangen. Wissenstransfer darf keine Einbahnstraße darstellen. Für einen erfolgreichen wechselseitigen Austausch ist es notwendig, dass sich Hochschulen und Unternehmen als natürliche Partner auf Augenhöhe begegnen, die Chancen der Zusammenarbeit erkennen und Hürden gemeinsam aus dem Weg räumen. Dafür sind regelmäßiger Dialog und Kooperation grundlegend. Anwendungsproblematiken können so gleich an die Forschung rückgespiegelt werden.
Wie der Austausch von Forschungsergebnissen und Anwendungswissen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gelingen kann, zeigt die Plattform Lernende Systeme in dem Whitepaper „KI in die Anwendung bringen“. Insbesondere mittelständische Unternehmen können durch gemeinsame anwendungsbezogene Forschungstätigkeiten stärker mit KI-Themen in Berührung kommen. Erfolgreiche Kooperationsprogramme in Deutschland stellen etwa die KI-Kompetenzzentren dar. Diese Einrichtungen haben das Ziel, die KI-Forschung in Deutschland weiter zu stärken und besser untereinander zu vernetzen.
Zudem bieten sich Joint-Venture-Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen an. Sie legen Rahmenbedingungen fest, unter denen Unternehmen von den neuesten Forschungsergebnissen profitieren und die Forschenden wiederum Anwendungsprobleme kennenlernen. So treten Unternehmen frühzeitig in Kontakt mit potenziellen neuen KI-Expertinnen und -Experten und Studierende mit entsprechender KI-Expertise können gleich von den Praktikerinnen und Praktikern lernen.
Innovationswettbewerbe dienen als Treiber für KI-Anwendungen
Wie lässt sich das Interesse an Anwendungsproblematiken der Unternehmen bei Forschungsgruppen oder Studierenden wecken? Eine Möglichkeit, Unternehmen zu maßgeschneiderten KI-Lösungen zu verhelfen, sind Open-Innovation-Wettbewerbe. Bei diesen Wettbewerben geben Unternehmen ein konkretes Problem vor, das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen des Wettbewerbs mithilfe von KI lösen sollen.
Die Teilnehmenden können somit ihr akademisches Wissen direkt anwenden. Die Gewinner erhalten ein Preisgeld, zudem besteht die Chance auf eine Kommerzialisierung der vorgeschlagenen Lösung. Bei solchen Wettbewerben profitieren sowohl die Unternehmen als auch die Erfinderinnen und Erfinder. Die Unternehmen erhalten Lösungsvorschläge und können sich mit den Forschenden über den weiteren Einsatz der vorgeschlagenen Ideen einigen. Gleichzeitig verbleiben die Ideen und Lösungsansätze selbst – also beispielsweise Patentanträge, die gegebenenfalls entstehen könnten – bei den jeweiligen Erfinderinnen oder Erfindern.
Möglichkeiten, KI stärker in die Anwendung zu bringen, gibt es viele. Wichtig bei allen Kooperationsformen sind dabei zwei Punkte: die Neugierde für anwendungsorientierte Forschung zu wecken und das Bewusstsein für die Vorteile von Kooperationen und gegenseitigem Austausch bei Unternehmen und Forschung zu stärken. Die Potenziale sind auf beiden Seiten vorhanden: Was fehlt, ist die optimale Vernetzung.
Über den Autor
Dr. Carl-Helmut Coulon war nach seiner Promotion lange Zeit für die Bayer AG im Bereich Automatisierung tätig. Mittlerweile leitet er bei der Joint-Venture Forschungstochter INVITE – einer Kooperation zwischen der Bayer AG sowie der TU Dortmund und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf die Gruppe „Future Manufacturing Concepts“. Ziel von INVITE ist es, die Anwendung neuer Technologien in Produktion und Labor voranzubringen. In der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierten Plattform Lernende Systeme ist er Mitglied der Arbeitsgruppe „Technologische Wegbereiter und Data Science“.
Über die Plattform Lernende Systeme
Die Plattform Lernende Systeme ist ein ExpertInnen-Netzwerk zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). Ihr Ziel ist es, als unabhängiger Makler den interdisziplinären Austausch und gesellschaftlichen Dialog zu KI zu fördern. Die knapp 200 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln in Arbeitsgruppen Positionen zu Chancen und Herausforderungen und benennen Handlungsoptionen für den verantwortlichen Einsatz von Lernenden Systemen. Die Plattform Lernende Systeme wurde 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung des Fachforums Autonome Systeme des Hightech-Forums und acatech gegründet. Die Leitung der Plattform liegt bei Bundesministerin Anja Karliczek (BMBF) und Karl-Heinz Streibich (Präsident acatech).
Whitepaper KI in die Anwendung bringen (Stand 2021) – Plattform Lernende Systeme