Dänemarks Digitalisierungs-Vorsprung im Hochschulwesen? Ein Erfahrungsbericht.

Originalautor Robert Karl Bernhardt, veröffentlicht am 16.4.2020 im Rahmen eines Blogbeitrags des Hochschulforum Digitalisierung (HFD)

Wie gestalten andere Länder den DigitalTurn an den Universitäten? Robert Karl Bernhardt nimmt uns in diesem Erfahrungsbericht mit nach Dänemark und zeigt, wie die Digitalisierung dort im Hochschulwesen gestaltet wird. Welche Vorzüge des dänischen Hochschulsystem tragen dazu bei, dass die Corona-bedingte-Digitalisierung in Dänemark besonders gut geklappt hat?

Dänemarks Digitalisierungs-Vorsprung im Hochschulwesen? Was hat gut geklappt? 

Dänemark, das Land von Hygge, der kleinen Meerjungfrau und Danish Design… und ein Vorreiter von Digitalisierung der Hochschulbildung. Ich bin als Deutscher in Dänemark und arbeite dort seit fünf Jahren im Kernfeld Digitalisierung im dänischen Hochschulsektor. Für die Copenhagen Business School (einer der größten europäischen Business Schools) und für SmartLearning (ein Digitalisierungs-Zusammenschluss der neun dänischen Fachhochschulen) bin ich tätig. 

Aber warum ist Digitalisierung in Dänemark so fortgeschritten? Wieso meistert Dänemark die Corona-wir-müssen-den-Hochschulbetrieb-auf-Online-umsatteln-Zeit so gut? 

Das sind aus meiner Sicht die wesentlichen Gründe: 

1. Politischer Rückhalt

Dänemark verfolgt politisch eine Pro-Digitalisierung-Politik. Das ist bekannt und gilt branchenunabhängig. E-Government ist ein Beispiel. In Dänemark kann man sich z.B. per Mausklick scheiden lassen. Vielleicht ist das ein Grund, warum die Scheidungsrate bei 50% liegt. E-Health ist ein weiteres Feld: Mein Arzt schickt mir per e-Post die Untersuchungsresultate. Anschließend schreibe ich ihm zurück und erkundige mich nach der Dosierung der Tabletten. Seit Jahren trage ich keine Scheine oder Münzgeld bei mir, alles wird mit Kreditkarte oder MobilePay bezahlt. Bargeldlose Gesellschaft durch digitale Möglichkeiten. 

Zurück zum Hochschulsektor. 2017 wurde Tommy Ahlers zum Minister für Forschung und Bildung. Er ist als Geschäftsmann berühmt bzw. reich geworden durch den Verkauf seines Start-Ups für eine Projekt-Managementplattform zu Zeiten, zu denen es das noch nicht flächendeckend gab. Nach seiner Ernennung zum Minister wurden schwerpunktmäßig Digitalisierungsprojekte gefördert, sowohl in Forschung als auch in Lehre. Zum Beispiel arbeiten die dänischen Fachhochschulen gerade mit Area 9 daran, Lerninhalte so zu personalisieren, um Studierenden ein eigenes Lesetempo zu ermöglichen. 

In Dänemark wird Bildungspolitik im Unterschied zu Deutschland auf “Bundesebene” (es gibt keine Bundesländer in Dänemark) entschieden. Dadurch ist eine homogene und schnellere Entscheidungsfindung und -Umsetzung möglich. Digitalisierung wird von dänischen Politiker*innen als Antrieb der Wirtschaft verstanden und steht oben auf der Prioritätenliste der Bildungspolitik. Politischer Rückhalt ist ein Grund für den Digitalisierungs-”Vorsprung” des nordischen Nachbarlandes.

2. “Humankapital”

Dänemark fördert den Anteil der Menschen, die die Vorteile digitaler Werkzeugen ausnutzen. Digitale Kompetenzen dänischer Bürger*innen, damit auch die von Hochschul-Mitarbeitenden, sind im Europavergleich überdurchschnittlich. Der Dänische Staat (Punkt 1) investiert massiv, v.a. in die Förderung von MINT-Fertigkeiten der Gesellschaft. Spannend für mich als Deutscher ist auch der unterschiedliche Umgang mit und der Schutz von Daten. In Dänemark ist man dicht am Konzept des “gläsernen Menschen” dran, gleichzeitig ist die Furcht vor Datenmissbrauch schwach ausgeprägt. Diese Mischung erzeugt ein anderes Mindset inkl. Verhalten gegenüber der Digitalisierung. 95% aller Dän*innen nutzen das Internet täglich, führend in der EU. Nur 2% der Bevölkerung hat das Internet noch nie verwendet (siehe: hier).

3. Infrastruktur 

Dänemark zählt zu den Top 3 der digitalisiertesten Länder Europas. Die Konnektivität von 4G ist zu 99% im ganzen Land gegeben und klar über europäischem Standard. Überall gibt es gratis WLAN: In jeder Universität, Hochschule, Schwimmbad, Bahnhofsstation, … Wer solche Möglichkeiten hat, nutzt sie. Verhältnisse schaffen Verhalten. 
Als Leser*in denkt man jetzt vielleicht: Ist ja nett mit der tollen Infrastruktur und dem politischen Back-up in Dänemark, aber diese Dinge werden in Deutschland nicht so schnell zu ändern sein. Wie kann ich aber als Angestellte*r einer Hochschule dem Thema Digitalisierung begegnen und meinen Unterricht auf online Lehre umstellen? 

 

Hier kommen meine Empfehlungen: 

Werde Pioneer

Der Umstieg in die Digitalisierung ist Kopfsache, die eigene Einstellung dazu wichtiger als je zuvor. Ja, Datenschutz ist wichtig; ja, Präsenzunterricht ist ohne Frage pädagogisch wertvoller; und ja, wer sitzt schon gerne lange vor dem Computer und kämpft mit neuer Learningsoftware? Dozent*innen und Fachbereiche, die sich für Digitalisierung eingesetzt haben, konnte ich dabei beobachten, wie sie sowohl Anerkennung als auch Unterstützung erhalten haben: z.B. Komplimente von Kolleg*innen, Forschungsgelder vom Staat, eine neuer Verantwortungsbereich, manchmal sogar eine neue Stelle. Zu Corona-Zeiten bleibt uns im Endeffekt keine Wahl.

Digitale Werkzeuge testen

Es gibt viele gute und kostenlose (in der minimierten Version) digitale Werkzeuge die den Einstieg erleichtern. An dieser Stelle Hinweise auf Learningsoftware (oder Teachingsoftware) “Made in Denmark”:

  • Peergrade – Eine Plattform speziell für die Anwendung von Peer-to-Peer Aufgaben. Ich verwende diese Art von Aufgabenstellung und -lösung selber in meinem Unterricht. Studierenden wird eine zu lösende Aufgabe gegeben. Die Lösung verbessern andere Studierende (mit Hilfe einer Musterlösung). Das spart Lehrenden Zeit und weist Studierenden einen anderen pädagogischen Wert zu. Bloom (siehe Blooms Taxanomy) würde sich freuen.
  • aula.education – Eine Learning Management Platform und damit eine Mischung aus Moodle, Slack und Facebook. Klingt merkwürdig, ist aber sehr empfehlenswert.
  • Abschließend noch eine Auswahl der üblichen Verdächtigen, die aber nicht aus Dänemark stammen: ZOOM (Online Kommunikation), Panopto (Videoplatform) und Miro (Digitales Whiteboard).

Methodisch: Online-Lehre ist eine ganz andere Geschichte

Der größte Trugschluss aus meiner Sicht ist, methodisch Präsenzformate einfach in Online-Formate zu verwandeln. Durch den Verlust des direkten menschlichen Kontakts und der zwangsläufigen Umstellung zu Ich & Computer schrumpfen viele pädagogische Möglichkeiten. Anpassungen sind nötig. Gilly Salmon hat das bereits vor 20 Jahren in lesenswerten Anekdoten beschrieben. Zu empfehlen sind z.B. ihre (vereinfachten) Theorien über das Five-Stage-Model und E-tivitiesDiana Laurillard und ihre Veröffentlichungen sind auch sehr nützlich. Und natürlich der Austausch mit Kolleg*innen und Expert*innen.

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