Geschichte spielen am GameLab der Uni Wien

Geschichte mithilfe von Computerspielen simuliert erleben, aktiv handeln und daraus lernen. Alexander Preisinger und Thomas Hellmuth von der Fachdidaktik Geschichte der Universität Wien wollen mit dem GameLab den Geschichtsunterricht digital bereichern.

Die junge, syrische Frau Nour verliert ihre Schwester bei einem Bombenangriff und bricht mit ihren Ersparnissen, einer Grundausrüstung und einem Flugticket Richtung Europa auf. Ihr Mann Majd bleibt zurück – die beiden halten via Handy Kontakt. “Begrabe mich, mein Schatz” ist ein Computerspiel von Arte, mit dem man eine Flucht simuliert erlebt. Als Spieler*in übernimmt man die Rolle von Majd und beeinflusst Nours Weg mit Handlungsvorschlägen und Reaktionen auf Erlebtes.

Es ist eines der Spiele, das Alexander Preisinger im Rahmen des GameLabs der Uni Wien mit Schüler*innen und Studierenden spielt. Der Dozent am Institut für Geschichte und Lehrer an einer Wiener Handelsakademie arbeitet seit Jahren didaktisch mit Computerspielen. “Wir leben in einem visuellen Zeitalter”, stellt er fest. Die kürzlich veröffentlichte Studie “Gaming in Austria” zeigt, dass 5,3 Millionen Österreicher*innen und beinahe die Hälfte aller Schüler*innen bis 19 Jahre spielen.

Ein mobiles Spielelabor

Beim GameLab, das Preisinger gemeinsam mit Thomas Hellmuth, Professor für Didaktik der Geschichte an der Uni Wien, gegründet hat, handelt es sich grundsätzlich um eine Kooperation mit dem Unternehmen Nintendo. Der japanische Spiel- und Konsolenhersteller stellt der Uni Wien zehn seiner Switch-Konsolen zur Verfügung. Geschichtsdidaktiker*innen oder Studierenden können sich diese ausleihen und in ihre Unterrichtskonzepte einbauen.

Neben der Bereitstellung der Infrastruktur geht Preisinger auch selbst in Kurse, um für einige Stunden mit den Konsolen zu unterrichten. Seit September 2019 gibt es das GameLab bereits, “mittlerweile bekomme ich fast jede Woche eine Anfrage von irgendeinem Kurs oder einer Schule”, erzählt er.

Auch Egoshooter können pädagogisch wertvoll sein

Die Geräte seien niederschwellig zu bedienen, und: “Es sind in den letzten Jahren exzellente Spiele im Bereich politische Bildung und Geschichte entstanden”, so Preisinger. Es gibt sogenannte “serious games”, die dezidiert fürs Lernen entworfen wurden – die Vereinten Nationen (UNO) haben einige davon entwickelt. Insgesamt komme es aber immer auf den Kontext an: “Wir können auch Egoshooter spielen. Wenn es ein Setting ist, in dem das Spiel dekonstruiert und kritisiert wird, ist es ein Lernmedium.”

Hellmuth gibt zu bedenken, dass Spiele, die mit einem pädagogischen Ziel konstruiert wurden, sogar aufgesetzt und fad wirken können. “Im Geschichtsunterricht soll ja auch ein Lebensweltbezug hergestellt werden, das ist ein didaktisches Prinzip”, erklärt er. Und der lasse sich oft einfacher mit Spielen herstellen, die tatsächlich im Freundeskreis kursieren.

„Herz, Hand und Hirn“

Spiele statten Nutzer*innen mit einer Handlungsmacht aus. “Wir können nicht in die Vergangenheit reisen und viele historische Erfahrungen nicht mehr machen”, so Preisinger. Aber: “Wir können sie im Computerspiel simuliert erleben.” Damit seien die Schüler*innen und Studierenden gleich im forschend-entdeckenden Lernen, “und das ist motivierend”. Die Stärke liege in der Kombination aus „Herz, Hand und Hirn“ (Heinrich Pestalozzi), in der konstruktivistischen Didaktik. “Problembasiert, handlungs- und produktorientiert sowie multiperspektivisch,”beschreibt es Preisinger.

Eine wissenschaftliche Einbettung des GameLabs fehlt bisher, die didaktischen Entwürfe zum Unterricht mit den Konsolen sammelt Preisinger jedoch. Einen theoretischen Background gebe es schon, zum Beispiel einen Kurs für digitale Medien im Geschichtsunterricht. “Geschichte wird ja nicht mehr so verstanden, dass man Jahreszahlen auswendig lernt, es geht um historisches Bewusstsein und Dekonstruktion von Geschichtsbildern”, ergänzt Hellmuth. 

“Spielen ist so ähnlich wie Arbeiten”

Überraschend war für Preisinger, dass nicht alle Schüler*innen und Studierenden gerne spielen. “Bis zur Hälfte der Teilnehmer*innen eines Kurses sind nicht spielaffin,” verrät der Didaktiker. Das liegt möglicherweise daran, dass Spiele ähnliche Aspekte wie Arbeiten aufweisen. “Man muss die Strategien und Regeln lernen, sich einarbeiten”, erklärt er, “man hat Aufgaben zu erfüllen und es gibt einen Konkurrenzdruck.”

Es gehe vielleicht um Freude, aber nicht um Spaß: “Ich habe das Gefühl, die Textkompetenzen sind bei vielen Studierenden besser entwickelt als die digitale literacy: Bei Texten denkte jede*r sofort an Perspektive, Ideologie und Narration, während wir von einem Computerspiel nur erwarten, dass es Spaß macht.” Die digitalen Kompetenzen, etwa im Umgang mit digitalen Spielen, stecke noch immer in den Kinderschuhen und müssen in der Lehramtsausbildung viel stärker gefördert werden.

Ergänzen, nicht ersetzen

Wichtig ist es Preisinger und Hellmuth zu betonen, dass es ihnen nicht um eine vollständige Gamifizierung des Unterrichts gehe, der Einsatz von Computerspielen im Geschichtsunterricht sei nur eine Methode unter anderen. “Und wie bei allen Methoden muss man sich auch hier überlegen, wo man sie am sinnvollsten einsetzen kann,” schließt Preisinger. (sn)

Zum Originalbeitrag vom 28.07.2020

 

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