Jede Corona-Verlängerung war ein neuer Tiefschlag

Kurse bekommen ein neues Format und die sozialen Kontakte werden ebenfalls fast ausschließlich online gepflegt. Das ist für alle eine große Herausforderung. Doch wie geht es eigentlich Studierenden, die entweder für ein Erasmus- bzw. Austauschsemester oder für mehrere Semester an die LMU gekommen sind?

„Moment, ich habe noch kurz eine Onlinevorlesung“ schreibt Christoffer, kurz darauf meldet er sich dann. „Sorry, das war noch wichtig, ist prüfungsrelevant.“ Er lacht am Telefon. Christoffer ist einer von knapp 280 Erasmus-Studierenden, die im März 2020 für ihr Erasmussemester an der LMU erwartet wurden. Knapp drei Viertel von ihnen sind aufgrund des Coronavirus entweder gar nicht angereist, frühzeitig wieder abgereist oder absolvieren ihr Semester von Zuhause aus. Wie geht es den Zurückgebliebenen?

„Es geht mir gut, die Lage hat sich wirklich gebessert“, erzählt Christoffer, der Anfang März aus Dänemark gekommen ist. „Inzwischen hat sich Normalität und Alltag eingestellt. Ich lerne für Prüfungen, gehe mit meinen Freunden aus dem Olympiadorf Fußball spielen und komme auch mit der Sprache immer besser klar.“

Was anfangs wie die Beschreibung von typischen Erasmus-Erlebnissen klingt, ist dann doch eine ganz eigene Erfahrung. Denn knapp zwei Wochen nach Christoffers Ankunft kam die Corona-Pandemie in ihrem vollen Ausmaß auch nach Deutschland.

Zwei Wochen im Erasmus-Fieber

„Die meisten Erasmus-Studierenden reisen Anfang März an, um am Sprachkurs und an den ersten gemeinsamen Aktionen teilzunehmen“, berichtet Barbara Habermann vom International Office. Sie koordiniert die Ankommenden, kümmert sich gemeinsam mit dem Team um Anfragen, Probleme und die ersten Einführungsveranstaltungen. „Der Sprachkurs ist für viele ein Highlight, weil man dort auch gleich Kommiliton:innen kennenlernt. Dass wir den nach den ersten zwei Wochen absagen mussten, war für viele nicht leicht.“

Nick ist ebenso wie Christoffer Anfang März nach München gereist, er kommt aus den Niederlanden. „Ich hatte am Anfang eine richtig coole Zeit hier. Zusammen mit meinen Mitbewohnern war ich auf Partys, habe den Deutschkurs besucht, Menschen kennengelernt und viel zu wenig geschlafen“, erinnert er sich. „Als dann der Kurs abgesagt werden musste und auch alle anderen Erasmus-Aktionen, war das echt schade. Denn ich hatte kurz Angst, jetzt alleine das Semester überstehen zu müssen.“

Sophie Appl arbeitet bei der Interkulturellen Beratungsstelle für internationale Studierende und kennt diese Befürchtungen: „Gerade zu Beginn hatten wir wahnsinnig viele Anfragen für persönliche Beratungen und haben mit Studierenden gesprochen, die sich in dem fremden Land verloren gefühlt haben oder mit der Situation nur schwer umgehen konnten.“

So hatte Appl Sprechstunden mit ganz konkreten Fragen, wie etwa das Semester trotzdem wissenschaftlich genutzt werden könnte oder wie man die Dozentinnen und Dozenten am besten kontaktiert. Viele waren aber einfach auch dankbar für die Möglichkeit, in einer persönlichen Sprechstunde von der Verunsicherung und Angst zu erzählen. 

Vokabeln für Fortgeschrittene: Hausstand, Ausgangsbeschränkung, Abstandsregelung

„Uns war es vor allem wichtig, schnell und aktiv zu handeln“, erinnert sich Habermann. „Für Erasmus-Studierende kommen ja nochmal ganz eigene Probleme dazu: Wie kommt man in dem fremden Land zurecht? Wie findet man trotzdem Freunde? Und ganz wichtig: Was bedeutet eigentlich Ausgangsbeschränkung oder Hausstand?“ Und so entstanden FAQs, das Buddy-Programm für Austauschstudenten wurde virtualisiert und es wurden Onlineformate geschaffen, die den Austauschstudierenden eine Plattform bieten konnten.

Auch die Interkulturelle Beratungsstelle hat ihr Programm aufgestockt und umgewandelt, sodass jede Woche etwas geboten wird, führt Appl aus. „Einmal die Woche haben wir ein Zoom-Meeting, bei dem sich die Studierenden einfach mit Kaffee oder Tee dazugesellen können, sich kennenlernen und austauschen können. Dazu haben wir noch Formate in die Online-Welt übertragen und gehen dabei ganz spezifisch auf Corona ein.“

Viele Erasmus-Studierende haben sich zum Beispiel WGs oder Studentenwohnheime gesucht, in denen man in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen dicht an dicht sitzt. Appl erklärt, dass es in Deutschland oft distanzierter zugeht, zumindest, bevor sich die ersten Freundschaften entwickelt haben. „Für viele war das eine Herausforderung, sich auf die neuen kulturellen Gegebenheiten einzustellen. Eine Studentin war sich zum Beispiel unsicher, wie sie mit ihren Mitbewohnern Kontakt aufbauen könnte.“ Das sei ein Thema, das normalerweise auch behandelt werde, berichtet Appl weiter. Durch die Angst vor Corona seien viele aber noch distanzierter; sich hier richtig zu verhalten, werde dann zu einer Herausforderung.

„Fußball hat mich gerettet“

„Die erste Zeit nach den Ausgangsbeschränkungen war wirklich schwierig, da ich noch kaum Freunde hatte und auch meine Freundin vermisst habe, wir hatten eigentlich einen langen Besuch geplant. Es ist schwierig, sich nicht sehen zu dürfen“, erzählt Christoffer. „Da war dann auch jede Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen ein neuer Tiefschlag. Trotzdem habe ich versucht, Freunde zu sehen, wir waren oft im Park spazieren, mit ganz viel Abstand. Mein Highlight war es, Fußball zu spielen, wenn auch nur mit viel Abstand und wenigen Mitspielerinnen und Mitspielern. Das hat mir wirklich geholfen.“

Auch Nick hatte diese Momente, in denen es schwierig war: „Ich war vor allem enttäuscht, dass mein Erasmus-Semester so gut begonnen hat und so schnell wieder geendet hat. Klar, ich bin jetzt noch hier und
nehme jeden Tag so viele Erfahrungen mit wie möglich.“ Trotzdem hat Nick Glück gehabt, findet er. Denn in seiner WG wohnen acht Jungs, sodass er nie wirklich einsam war und viele gemeinsame Unternehmungen die Ausgangsbeschränkungen erträglich gemacht haben.

Langsam aber gewöhnen sich alle mehr und mehr an die neue Situation. Dabei hilft auch, dass sich das Uni-Leben eingependelt hat und wieder Kurse stattfinden – online. „Für mich sind die Online-Kurse wirklich praktisch“, meint Nick. „Ich studiere Jura und brauche schon etwas länger, um die Zusammenhänge auf Deutsch verstehen zu können.“ Die Jura-Fakultät arbeitet viel mit Podcasts und Nick kommt das sehr entgegen: „Da kann ich jederzeit anhalten, zurückspulen oder nebenbei nach Begriffen googeln. Außerdem habe ich jetzt auch mehr Zeit, da ich nicht so viel mit Menschen unterwegs bin, und konnte so noch ein paar Kurse an meiner Heimat-Uni belegen, ich werde also hoffentlich schneller fertig mit meinem Studium.“

„Das Leben an einer deutschen Uni? Kenne ich immer noch nicht.“

Christoffer studiert Germanistik und ist nicht so begeistert von der Online-Uni. „Die Kurse sind zwar cool und spannend, aber ich habe gar nicht die Möglichkeit, meine Kommilitoninnen und Kommilitonen kennenzulernen.“ Er denkt kurz nach: „Ich kann dir gar nicht sagen, ob ich mich an der LMU wohlfühle, weil ich gar nicht die Chance bekomme, die Uni zu entdecken. Das finde ich richtig schade. An den dänischen Unis ist es zum Beispiel so, dass wir nach den Kursen immer gemeinsam Kaffee trinken gehen und Gruppenarbeiten vorbereiten. Ist das hier auch so?“

Und wie läuft es hinter den Kulissen?

Nicht nur für die internationalen Studierenden, auch für das International Office war die neue Situation herausfordernd. „Ich bin super stolz und dankbar, dass wir überhaupt ein Erasmus-Semester anbieten können“, sagt Habermann. Viele Partnerunis hätten das Semester vollständig für Erasmus gesperrt. „Es ist auch schön zu sehen, dass die Dozentinnen und Fachbetreuer sich noch mehr als sonst auf die Erasmusler einlassen und sich bemühen, sie mitzunehmen.“

Appl kann sich da nur anschließen. Die vielen Beratungen waren anstrengend, jedoch konnte sie auch eine ganz neue Nähe zu den Studierenden feststellen: „Plötzlich sitzt man da in einer Beratung und unterhält sich mit dem Studierenden über die Erfahrungen und Probleme und merkt, dass man wirklich durchkommt. Ich fand es total schön, in so engem Kontakt zu stehen und viele auf ihrem Weg zu begleiten.“

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