Was ich mir als Studentin von heute für die digitalisierte Hochschule von morgen wünsche – Teil 1
Anfang März haben wir zur Beteiligung an der Blogparade Lernwelten 2030 „Wie sieht die digitalisierte Hochschule der Zukunft aus?“ aufgerufen. Ein Beitrag dazu leisten die Studentinnen Sandra Nungeß und Elisa Rink. Wir freuen uns, ihren Beitrag und ihre studentische Sicht auf eine digitalisierte Hochschule und die Lernwelten 2030 in Form eines Selbstinterviews auf unserem Blog zu teilen. Dies ist der erste Teil des Interviews.
Veröffentlicht von Sandra Nungeß am 11.5.2020 beim Hochschulforum Digitalisierung (HFD)
An der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK), an der wir studieren, läuft aktuell eine Blogparade zum Thema „digitalisierte Hochschule im Jahr 2030”, die an die Science Fiction Kurzgeschichte „Lernwelten 2030” der Autorinnen Ulrike Günther und Dorit Günther anknüpft. Wir möchten unsere Gedanken aus studentischer Perspektive einbringen und haben dazu die Form eines Selbstinterviews gewählt: Wir stellen uns vier Fragen zur digitalisierten Hochschule der Zukunft, die jede von uns aus der eigenen Erfahrungswelt heraus beantwortet. Ich, Sandra Nungeß, bin mit meinem Studienfach Toxikologie in einer naturwissenschaftlichen und interdisziplinären Community unterwegs. Ich, Elisa Rink, studiere Integrative Sozialwissenschaften an der TUK und kenne aus meinem Studienalltag eine abwechslungsreiche Lern- und Arbeitskultur, bei der die face-to-face Interaktion überwiegt und durch digitale Tools ergänzt wird.
Frage 1: Was sind deine Erfahrungen mit digitalisierter Lehre und Virtual Reality (VR) Szenarien an deiner Hochschule? Wie stellst du dir das Lernen und Leben im Jahr 2030 vor?
In der Kurzgeschichte „Lernwelten 2030 wird in Kapitel 3 und Kapitel 6 geschildert, wie die Studierenden Fiona und Kibe an einer fiktiven Universität in Berlin im Jahr 2030 einen Teil ihrer Lehrveranstaltungen als Avatare in einer virtuellen Realität verbringen. Auch in Präsenzsettings wechseln sie mit Virtual-Reality-Brillen zwischen physischen und virtuellen Räumen hin und her.
Elisa Rink: In meinem Studium an der TUK habe ich einige digitalisierte Lehr-und Lernszenarien erlebt, z.B. ein Blended-Learning-Seminar, das mithilfe einer Online-Lernplattform und einem Virtual Classroom umgesetzt wurde. In einem anderen Seminar haben wir Virtual Reality als Tool für das Gestalten und Halten von Präsentationen kennengelernt. Dabei haben wir mit VR-Brillen gearbeitet, allerdings bekamen einige Studierende davon Kopfschmerzen und Schwindelgefühl. Ich denke, dass sich die VR- und Mixed-Reality-Brillen und die so simulierten Welten in den nächsten Jahren technisch verbessern werden. Sobald diese Tools leicht zu handhaben, zuverlässig und kostengünstig sind, werden sie wahrscheinlich verstärkt in der Lehre eingesetzt werden.
Für das Studienfach Integrative Sozialwissenschaften stelle ich mir vor, dass VR-Szenarien künftig vor allem als Lernhilfe zum Veranschaulichen von komplizierten Studieninhalten eingesetzt werden. Spannend wird es für uns Studierende, wenn wir nicht an unseren physischen Aufenthaltsort gebunden sind, sondern in Zukunft problemlos in einen virtuellen Raum eintauchen werden, in dem wir ungewöhnliche Dinge und Veranstaltungsformate erleben und uns mit Studierenden und Berufstätigen aus anderen Lebenswelten austauschen.
Sandra Nungeß: In meinem Studium hatte ich bisher keine Berührungspunkte mit digitalisierter Lehre und Virtual Reality. Das liegt daran, dass in der Toxikologie das Arbeiten im Labor mit echten Substanzen wichtig ist, da mit biologischen Systemen gearbeitet wird und Versuche deshalb nie exakt reproduzierbar sind.
Wegen der Corona-Krise war die TU Kaiserslautern im März gezwungen, ihren Laborbetrieb komplett einzustellen. Es fragt sich nun, welche Alternativen der virtuelle Raum bietet. Für die standardmäßigen Versuche, die jedes Jahr zu dem Zweck wiederholt werden – mit dem Ziel dass die Studierenden deren Durchführung und die Benutzung verschiedener Geräte lernen – kann ich mir vorstellen, dass sie ersatzweise in einer VR-Umgebung durchgeführt werden könnten. Jedoch müssten dafür alle Studierenden mit VR-Brillen ausgestattet werden. Die zeitaufwändige Entwicklung solcher VR-Kurse würde in der aktuellen Situation wahrscheinlich zu spät kommen, denn bis zu deren Fertigstellung wird voraussichtlich wieder Präsenz auf dem Campus erlaubt sein. Auch wenn im Regelbetrieb ein virtuelles Labor zur Auswahl stünde, würde ich für bestimmte Versuche das echte Labor wegen seiner Vorteile nutzen.
Für den Forschungsbetrieb in diesen Fächern ist die Umstellung ins Digitale gar nicht vorstellbar, da neue Experimente mit unerforschten Fragestellungen nicht simuliert werden können.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich mich im Studium besser auf den „Ernstfall” im Praktikum und Beruf vorbereiten kann. Zum Beispiel das Verhalten in Gefahrensituationen, wie sie beim Arbeiten mit chemischen Substanzen auftreten können, würde ich gerne in einem sicheren virtuellen Versuchssetting einüben. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich virtuelle Simulationen von Experimenten, die im realen Labor zu kostspielig, gefährlich oder schwer sichtbar sind, in den nächsten Jahren immer mehr in naturwissenschaftlichen und technischen Studienfächern durchsetzen werden.
Beim Lesen der Kurzgeschichte „Lernwelten 2030” fand ich es faszinierend, wie die Protagonist*innen von Virtual Reality und Künstlicher Intelligenz umgeben sind und ganz selbstverständlich damit umgehen. Wenn ich mir mein Leben in zehn Jahren vorstelle, dann sehe ich den Umgang mit VR und KI in erster Linie in meinem privaten Umfeld, für mein Berufsleben kann ich es nicht einschätzen. Ich kann mir zwei Szenarien vorstellen: Das eine ist, dass sich die digitalen Techniken in den nächsten Jahren so nutzerfreundlich und für den Alltagsgebrauch erschwinglich weiterentwickeln werden, dass ich sie ganz „natürlich” in meinen Alltag integrieren werde. Das andere ist, dass es – für mich und einige andere – einen Wunsch nach „medialer Enthaltsamkeit” und damit einen rückläufigen Digitalisierungstrend geben wird, so dass ich digital basierte „Spielereien” aus meinem Freizeitleben weitgehend verbannen werde.
Frage 2: Welche digital basierten Studien- und Prüfungsleistungen findest du für die Zukunft wünschenswert?
In der Kurzgeschichte „Lernwelten 2030” schreibt die Protagonistin Fiona keine Klausuren, sondern Projektberichte. Alle ihre multimedialen Projekte, Studienleistungen und Kompetenzen (auch Außerhochschulisches) sammelt sie in einem E-Portfolio (Kapitel 5).
Sandra Nungeß: In der aktuellen Corona Krise sehe ich den dringenden und bereits überfälligen Bedarf der Digitalisierung in der Lehre und in organisatorischen Prozessen. Damit wir Studierende nicht womöglich ein ganzes Semester verlieren, müssen die Hochschulen umfassende Möglichkeiten anbieten, damit wir die nötigen Studien- und Prüfungsleistungen remote erbringen können. Auch einige Abläufe und Fristen müssten flexibilisiert werden. Jetzt merken wir, wie stark sich die meisten Hochschulen auf den Präsenzbetrieb verlassen. Wenn nun der Zwang besteht, im Hochschulbetrieb auf Online-Formate auszuweichen, wird sich zeigen, in welchen Bereichen der digitalisierte Modus an seine Grenzen stößt und wo er funktioniert und für die Zukunft beibehalten werden sollte.
Für Studiengänge, in denen das Arbeiten in Laboren oder Werkstätten am Campus notwendig ist, gibt es aktuell unter der Vorgabe des Abstandhaltens als Ansteckungsschutz noch keine Lösung für das anstehende Sommersemester. Möglicherweise werden Ersatzleistungen angeboten. In meinem Studiengang werden immerhin die Vorlesungen online stattfinden werden, was ich super finde. Ich bin gespannt darauf, ob wir in diesem Modus auch Vorteile entdecken werden.
Grundsätzlich denke ich, dass Online-Formate in der Lehre neue Möglichkeiten schaffen. Dennoch wünsche ich mir für meine Hochschule der Zukunft das Beibehalten einiger Präsenzveranstaltungen, denn bestimmte Arten der Zusammenarbeit und Diskussion gelingen besser, wenn alle Interaktionspartner persönlich vor Ort sind. Ideal ist, wenn ich als Studentin die Auswahl habe, was ich face-to-face am Campus und was ich online mache.
Das Zukunftsszenario der Kurzgeschichte, dass die Studierenden ausschließlich Projektberichte anstelle von Klausuren schreiben, halte ich für unrealistisch. Dafür müssten die Studieninhalte und deren Vermittlung grundlegend umorganisiert werden. Ich gehe davon aus, dass die Lehrenden weiterhin Klausuren einsetzen werden – aber in welchem Setting? Das Präsenzsetting hat hinsichtlich der Fairness den Vorteil, dass alle Prüflinge die gleichen Bedingungen haben und eine Aufsicht im Klausurraum Schummeln unterbindet.
Werden Klausuren elektronisch durchführt, stehen verschiedene Szenarien zur Auswahl. Ich kann mir beispielsweise gut vorstellen, dass Klausuren zukünftig vermehrt online vom heimischen PC aus geschrieben werden, was von einem künstlich intelligenten „Klausurassistenten” begleitet wird, der auch das Einhalten der Regeln beaufsichtigt (z. B. per Kamera und Mikrofon am PC).
Ich frage mich auch, warum ich als Studentin immer in der Rolle des Prüflings stecke und die Lehrenden mir als strenge Notengeber*innen begegnen. Für meine Hochschule der Zukunft wünsche ich mir, dass wir aus diesen alten Rollen ausbrechen und uns neu begegnen: offen für einen Gedankenaustausch auf Augenhöhe. Zum Beispiel möchte ich für meine Mitstudierenden eine Rolle als „kompetenter Peer” einnehmen. Als Alternative zur Benotung durch Lehrende könnten wir Studierende uns untereinander zu unseren Arbeiten ein qualitatives Feedback geben. Dies lässt sich zum Beispiel in kommentierbaren E-Portfolios gut umsetzen. Für bestimmte Aufgaben könnten Studierende auch ein Expertenkomitee bilden, das andere Studierende berät. Für mich als angehende Toxikologin ist das eine relevante Kompetenz, die ich bereits durch meine Arbeit als Peer-Coach an der TUK verbessern konnte.
Ein vorteilhafter „Nebeneffekt” ist, dass die Lehrenden dadurch in ihrem Workload entlastet würden. Wenn sie weniger mit Prüfungen ausgelastet wären, könnten die Lehrenden die Studierende verstärkt fachlich und überfachlich beraten und qualitative Feedbacks geben.
Elisa Rink: Projektberichte als Prüfungsleistung halte ich für sinnvoll und zukunftsweisend. Gerade im Hinblick auf den – noch nicht genau bestimmbaren – Wandel der Arbeitswelt und das damit verbundene Kompetenzniveau. Da wir Studierende ins Berufsleben mitnehmen wollen und müssen, glaube ich, dass projektbasierte Prüfungsformen Studierenden mehr Möglichkeiten bieten, diese Schlüsselkompetenzen zu erwerben. Projektberichte erfordern jedoch individuelle Betreuung durch die Lehrstuhlmitarbeitenden, was für diese zeitaufwändig ist. Um die Betreuungskapazitäten nicht zu überschreiten, stelle ich mir ein Peer-Reviewing und Mentoring durch Mitstudierende vor. Aus meiner Erfahrung als Peer-Beraterin an der TUK weiß ich, dass Studierende ebenso kompetente Diskurs- und Beratungspartner*innen sein können wie Lehrende und in dieser Funktion ihre eigenen Kompetenzen stärken.
Dennoch sollten sich Studienleistungen meiner Meinung nach weiterhin aus verschiedenen Prüfungsformen zusammensetzen, wobei ich auch die klassische Form der Klausur weiterhin für sinnvoll halte. Dafür sprechen auf Studierendenseite der überschaubare Arbeitsaufwand in der Vorbereitung und auf Lehrendenseite der recht niedrige Korrekturaufwand. Zudem eignen sich Klausuren zur Abfrage von Grundlagenwissen und motivieren mich persönlich zu einer besonders intensiven Art des Lernens. Dabei sollten alle Prüfungsformen – soweit dies möglich ist – auch in einem Onlinesetting durchführbar sein, um zumindest in besonderen Situationen als Ausweichmöglichkeit zu dienen.